Polen
[PL] „Lex TVN“ - Ist die Unabhängigkeit der Medien in Polen bedroht?
IRIS 2021-8:1/2
Agata Witkowska
Patpol
Am 11. August 2021 verabschiedete das Unterhaus des polnischen Parlaments eine gemeinhin als „Lex TVN“ bezeichnete Änderung des Hörfunk- und Fernsehgesetzes. Warum wird diese Gesetzesvorlage so kontrovers gesehen? Die Opposition betont, sie ziele auf den angeblich regierungskritischen Fernsehsender TVN ab, während die Regierungspartei behauptet, damit solle verhindert werden, dass polnische Medien von Unternehmen aus nichtdemokratischen Ländern wie Russland, China oder arabischen Staaten gekauft werden. Die Verabschiedung der Vorlage durch das Parlament fiel mit dem Antrag der TVN-Gruppe auf Verlängerung ihrer Lizenz zusammen.
In den Gesetzesentwurf über Hör- und Fernsehfunk wurde eine Bestimmung aufgenommen, nach der Fernseh- und Hörfunksender in Polen nur Eigentümer aus dem Europäischen Wirtschaftsraum haben dürfen, zu dem die Länder der Europäischen Union sowie Norwegen, Island und Liechtenstein gehören. Dem Entwurf zufolge kann eine Körperschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums eine Lizenz zur Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen erwerben, sofern sie nicht von einer ausländischen Person außerhalb des EWR abhängig ist. Das Inkrafttreten dieses Gesetzes trifft jedoch ausschließlich den im Besitz des US-Unternehmens Discovery befindlichen Sender TVN, da die USA nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum gehören und zudem nur Amerikaner ausländische Eigentümer von Medien in Polen von außerhalb des EWR sind. Daher wird das Gesetz als „Lex TVN“ bezeichnet. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz löste in Polen eine Kritik- und Protestwelle aus, da es sich gegen einen Fernsehsender richtet, der der Regierungspartei vermeintlich nicht wohlgesonnen ist. Oppositionspolitiker, Experten und Bürger gingen auf die Straße, um gegen die verabschiedete Gesetzesänderung zu protestieren, da sie der festen Auffassung sind, das Gesetz stelle eine echte Bedrohung für die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien in Polen dar. Derartige Kritik äußern auch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, die betonen, die Medien seien ein Schlüsselelement eines demokratischen Staates und ein Instrument zur Kontrolle der Behörden. Der Gesetzentwurf könnte auch ausländische Investoren beunruhigen. Die US-Behörden und die Europäische Kommission brachten ihre Besorgnis über diese Regelung zum Ausdruck. Die Discovery Corporation selbst gab eine Erklärung ab, wonach das Mediengesetz ein Angriff auf unabhängige Medien und die Pressefreiheit sei und sich direkt gegen TVN richte. Einen Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes durch das Parlament teilte Discovery dem polnischen Präsidenten mit, das Unternehmen werde rechtliche Schritte wegen Verletzung des bilateralen Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und Polen einleiten. Discovery wirft den polnischen Behörden vor, gegen bilaterale Verpflichtungen zu verstoßen, darunter die faire und gerechte Behandlung gegenseitiger Investitionen, die Nichtbeeinträchtigung gegenseitiger Investitionen durch willkürliche und diskriminierende Entscheidungen, die Gleichbehandlung bei der Lizenzvergabe und das Verbot entschädigungsloser Enteignung.
Am 9. September 2021 stimmte der Senat, das Oberhaus des polnischen Parlaments, gegen die Gesetzesvorlage. Die Begründung lautete, das geänderte Gesetz sollte nicht Teil der Rechtsordnung werden, da es gegen eine Reihe von Bestimmungen der polnischen Verfassung, des Vertrags über die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Republik Polen und den Vereinigten Staaten von Amerika sowie des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verstoße. Die Änderungsanträge des Senats müssen vom Unterhaus mit absoluter Stimmenmehrheit bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Abgeordneten angenommen oder abgelehnt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwer zu sagen, ob die Regierungspartei eine solche Mehrheit erreichen wird. Falls ja, wird die Gesetzesvorlage dem Präsidenten zugeleitet. Der Präsident hat kürzlich angedeutet, dass er das TVN-Gesetz möglicherweise blockieren werde. Er kann die Vorlage auch an den Verfassungsgerichtshof verweisen, der dann entscheidet, ob das Gesetz rechtsverbindlich wird oder nicht.
Referenzen
- Parlimentary draft amending the Law on Radio and Television
- Parlamentsentwurf zur Änderung des Hörfunk- und Fernsehgesetzes
- US-Poland Business and Economic Relations Treaty (Signed 21 March 1990; Entered into Force 6 August 1994; Amended 1 May 2004)
- https://tcc.export.gov/Trade_Agreements/All_Trade_Agreements/exp_005367.asp
- Vertrag über Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Polen (unterzeichnet am 21. März 1990; in Kraft getreten am 6. August 1994; geändert am 1. Mai 2004)
- Uchwała Senatu RP w sprawie ustawy o zmianie ustawy o radiofonii i telewizji
- https://www.sejm.gov.pl/sejm9.nsf/druk.xsp?nr=1535
- Entschließung des Senats der Republik Polen zur Gesetzesvorlage zur Änderung des Hörfunk- und Fernsehgesetzes
Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.