Deutschland

[DE] BGH legt EuGH Fragen zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe bei Übertragung von Rundfunkprogrammen vor

IRIS 2024-3:1/17

Felix Engleitner

Rechtsreferendarin am Institut für Europäisches Medienrecht

Mit Beschluss vom 8. Februar 2024 legte der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) im Rechtsstreit Az. I ZR 34/23 dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) drei Vorlagefragen vor, um im Wesentlichen zu klären, ob der Betreiber eines Seniorenwohnheims, der über eine Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme durch ein Kabelnetz an die Heimbewohner weitersendet, eine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Urheberrechts vornimmt und daher entsprechende Vorkehrungen für die Lizensierung zu treffen hat. Die drei Vorlagefragen lauten konkret:
(1.) ob es sich bei den Bewohnern eines kommerziell betriebenen Seniorenwohnheims, die in ihren Zimmern über Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk verfügen, an die der Betreiber des Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz weitersendet, um eine "unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten" im Sinne der Definition der "öffentlichen Wiedergabe" gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG handelt, 
(2.) ob die bislang vom EuGH  verwendete Definition, wonach die Einstufung als "öffentliche Wiedergabe" in diesem Sinne erfordert, dass "die Wiedergabe des geschützten Werks unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet, oder ansonsten für ein neues Publikum erfolgt, d.h. für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte", weiterhin allgemeine Gültigkeit hat, oder das verwendete technische Verfahren nur noch in Fällen Bedeutung hat, in denen eine Weiterübertragung von zunächst terrestrisch, satelliten- oder kabelgestützt empfangenen Inhalten in das offene Internet stattfindet und 
(3.) ob es sich um ein "neues Publikum" i.S. der vorgenannten Definition handelt, wenn der zu Erwerbszwecken handelnde Betreiber eines Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz an die vorhandenen Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weitersendet und ob für diese Beurteilung von Bedeutung ist, (a) ob die Bewohner unabhängig von der Kabelsendung die Möglichkeit haben, die Fernseh- und Rundfunkprogramme in ihren Zimmern terrestrisch zu empfangen und (b) ob die Rechtsinhaber bereits für die Zustimmung zur ursprünglichen Sendung eine Vergütung erhalten.


In dem Rechtsstreit klagt die GEMA gegen ein kommerziell betriebenes Senioren- und Pflegezentrum. Die Beklagte stellt den pflegebedürftigen Bewohnern in den Zimmern Rundfunkprogramme zur Verfügung. Dabei wird das Rundfunkprogramm durch eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangen und sendet das Rundfunkprogramm zeitgleich, unverändert und vollständig durch ihr eigenes Kabelnetz an die Zimmer der Bewohner. Die GEMA verklagte die Beklagte auf Unterlassen der Ausstrahlung unter Berufung auf die Rechtsmeinung, dass es sich um eine öffentliche Wiedergabe handle und keine Einwilligung des Rechtsinhabers vorliege. Dieser Rechtsmeinung folgte das erstinstanzliche Gericht, während sie vom Berufungsgericht verworfen wurde. 


Ein mitgliedstaatliches Gericht kann, ein letztinstanzlich agierendes mitgliedstaatliches Gericht wie der BGH muss dem EuGH gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 AEUV Fragen zur Auslegung des sekundären Unionsrechts wie z.B. der  Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vorlegen, wenn das betreffende Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich erachtet. 


Hinsichtlich des Punktes der „Wiedergabe“ des Rundfunkprogrammes besteht zwischen den Gerichten Einigkeit, dass dieses Merkmal vorliegt. In der Vorlage begründet der BGH genau, warum es auf die Klärung der genannten Fragen ankommt. 
Die erste Vorlagefrage soll zu der Klärung führen, ob die Wiedergabe an eine „unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten“ vorliegt und damit öffentlich ist. Dieses Kriterium setzt sich aus zwei weiteren Merkmalen zusammen: „recht viele Personen“ und keine „besonderen Personen“. Der BGH folgt der Auffassung des Berufungsgerichts, dass der zahlenmäßige Schwellenwert bei den Bewohnern der 88 Einzelzimmer und 3 Doppelzimmer des Seniorenwohnheims erreicht ist und fokussiert sich auf das beschränkende Kriterium „besondere Personen“. Ob die Wiedergabe nicht für eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten, sondern auf besondere Personen beschränkt sei, die einer privaten Gruppe angehörten, sei unionsrechtlich klärungsbedürftig. Allein der Umstand, dass der Kreis der Einrichtungsbewohner strukturell sehr homogen sei und eine eher niedrige Fluktuation aufweise, rechtfertigt aus Sicht des BGH dabei nicht die Annahme, die Wiedergabe erfolge nur gegenüber "besonderen Personen", weil der Zugang zu den Leistungen des Seniorenwohnheims grundsätzlich allen Personen offensteht, für die das Angebot in Frage kommt, und lediglich durch die Aufnahmekapazität des Wohnheims begrenzt wird.
Mit der zweiten Vorlagefrage soll geklärt werden, ob das Kriterium der Abweichung des technischen Verfahrens der Wiedergabe für die Beurteilung der öffentlichen Wiedergabe weiterhin allgemein Gültigkeit hat oder nur noch in bestimmten Fällen von Bedeutung ist. Es wird dabei auf den Umstand abgestellt, dass die Abweichung des technischen Verfahrens der Wiedergabe von dem ursprünglichen Verfahren der Wiedergabe nicht von der Einwilligung erfasst ist. Ein „neues Publikum“ ist dann unerheblich, weil die Wiedergabe schon nicht von der Einwilligung gedeckt ist. An anderer Stelle seiner bisherigen Judikatur greift der EuGH allerdings nicht auf dieses Einwilligungs-Erfordernis zurück, soweit es sich nicht um die Wiedergabe gegenüber einem „neuen Publikum“ handelte. 
Die dritte Vorlagefrage zielt im Kern auf die Klärung, ob die Bewohner des Seniorenwohnheims der Beklagten ein "neues Publikum" darstellen, weil sie die Fernseh- und Hörfunkprogramme in ihren Zimmern, also allein oder im privaten oder familiären Kreis, empfangen und die Beklagte, die ein anderes als das ursprüngliche Sendeunternehmen ist, die Rundfunksignale den Bewohnern im Rahmen des zu Erwerbszwecken vorgenommenen Betriebs des Seniorenwohnheims zur Verfügung stellt.


Referenzen


Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.