Lettland

[LV] Widerruf der Sendegenehmigung von TV Rain wegen Bedrohung der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung

IRIS 2023-2:1/5

Amélie Lacourt

Europäische Audiovisuelle Informationsstelle

Am 6. Dezember 2022 fasste der Nationale Rat für elektronische Massenmedien Lettlands einen Beschluss, mit dem die Sendegenehmigung, die SIA TV Rain - einem unabhängigen russischen Sender - für die Produktion des Programms „TV Rain“ nur wenige Monate zuvor, am 6. Juni 2022, erteilt worden war, aufgehoben wurde. Diesem endgültigen Beschluss waren mehrere Ordnungsverfahren und Beschlüsse des Rates vorausgegangen.

Der erste Beschluss des Rates vom 10. November 2022 betraf die reine Einhaltung der „Grundlegenden Betriebsbedingungen“ der Sendegenehmigung für das elektronische Medienunternehmen. Der Rat verwies darauf, dass das Programm nicht Art. 24 Abs. 3 und Art. 32 Abs. 5 des Gesetzes über elektronische Massenmedien („EPLL“) entspreche und keine lettischen Untertitel enthalte, obwohl TV Rain sich der ihm gestellten Anforderungen bewusst sei. Darüber hinaus beschloss der Rat ein Bußgeld gegen TV Rain in Höhe von EUR 4.000, da die Anforderungen an eine einwandfreie Arbeitsweise und die Produktion grenzüberschreitender Fernsehprogramme gemäß Artikel 79 EPLL nicht erfüllt worden seien. Er betrachte dies als verhältnismäßig schweren Verstoß, der unter anderem eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstelle, da lettischsprachige Personen aufgrund dessen, dass der Inhalt nur in einer Fremdsprache ausgestrahlt werde, in Notfällen nicht schnell informiert würden.

Am 13. Oktober 2022 leitete der Rat ein weiteres Ordnungsverfahren im Zusammenhang mit der Ausstrahlung (und Wiederholungen) des Programms zwischen dem 1. und 10. Oktober 2022 ein. In diesem Zeitraum wurden die Streitkräfte der Russischen Föderation als „unsere Armee“ bezeichnet, und auf Karten von Teilen Eurasiens wurde die Halbinsel Krim als Territorium der Russischen Föderation dargestellt. Damit seien dem Publikum falsche Informationen vermittelt worden, da die Halbinsel Krim ukrainisches Hoheitsgebiet sei und rechtlich nie zur Russischen Föderation gehört habe. TV Rain habe somit gegen die in Art. 24 Abs. 4 EPLL festgelegte Verpflichtung verstoßen, Informationen mit der gebotenen Sorgfalt zu veröffentlichen. In Anbetracht der Tatsache, dass TV Rain wiederholt Sendungen und Wiederholungen mit ungenauen Informationen ausgestrahlt habe, wodurch der Öffentlichkeit ein falscher Eindruck von der Zuverlässigkeit der Informationen vermittelt worden sei, und angesichts dessen, dass die Sendungen von TV Rain den Staat Lettland und die öffentliche Sicherheit beeinträchtigten, fasste der Rat am 1. Dezember 2022 einen Beschluss über eine Ordnungsstrafe gegen TV Rain in Höhe von EUR 10.000.

Der Rat beschloss im Weiteren, am 2. Dezember 2022 ein neues Verstoßverfahren einzuleiten, nachdem am Vortag im Programm Äußerungen gefallen waren, die nach Ansicht des Rates als Aufforderung an das Publikum, Informationen über die materielle Lage und Versorgung der in den Streitkräften der Russischen Föderation mobilisierten Personen bereitzustellen, die gegen die territoriale Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit der Ukraine handeln, sowie als indirekter Aufruf zur Hilfeleistung zu verstehen waren. Nach Ansicht des Rates gefährdete dies nicht nur die Sicherheit der Ukraine, sondern stellte auch eine erhebliche Bedrohung für die Sicherheit Lettlands und anderer europäischer Länder dar.

Am 5. Dezember 2022 übermittelte der Staatssicherheitsdienst dem Rat ein Schreiben, in dem er auf einen von TV Rain verbreiteten Beitrag aufmerksam machte, der den russischen Soldaten, die derzeit in der Ukraine kämpfen und getötet werden, sowie den mobilisierten russischen Bürgern gewidmet war. In diesem Schreiben stellt er fest, dass jede unmittelbare oder mittelbare Entgegennahme oder Weitergabe von Finanzmitteln oder anderen Gütern an eine Partei, die in einen außerhalb des Hoheitsgebiets der Republik Lettland stattfindenden bewaffneten Konflikt verwickelt sei und deren Handeln sich gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates richte oder in anderer Weise gegen das für die Republik Lettland verbindliche Völkerrecht verstoße, nach Artikel 77 des Strafgesetzes strafbar sei. Die Schuld einer juristischen Person lasse sich daran festmachen, ob sie die Möglichkeit gehabt habe, die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, und ob sie die erforderlichen Maßnahmen tatsächlich ergriffen habe.

In seinen Schlussfolgerungen bestätigt der Rat, dass TV Rain systematische Verstöße begangen hat und überdies deren Wesen und Bedeutung nicht erkennt oder gar versteht. Während T. Dzjadko, Chefredakteur von TV Rain, solche Verstöße als Irrtümer, Versprecher und technische Probleme betrachtet, ist der Rat der Ansicht, dass die Einrichtung der E-Mail-Adresse army@tvrain.tv zur Unterstützung der in der Russischen Föderation mobilisierten Personen beispielsweise nicht als „Versehen“ oder „Irrtum“ betrachtet werden könne.

In Anbetracht der regelmäßigen Verstöße gegen Rechtsvorschriften und der gravierenden Nichteinhaltung der „Grundlegenden Betriebsbedingungen“ der Sendegenehmigung zeige sich auch, dass die Anwendung von Ordnungsstrafen nicht ausreiche, um neue Verstöße zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund stützt sich der Rat auf Art. 21 Abs. 3 Ziff. 8 EPLL, wonach er eine Sendegenehmigung oder eine Weiterverbreitungsgenehmigung aufheben kann, wenn das elektronische Medienunternehmen die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung oder Sicherheit erheblich gefährdet. Da diese Maßnahme eine Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellt, muss der Rat das Ausmaß des Verstoßes und die vom elektronischen Medienunternehmen ergriffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit den Folgen der Verstöße sorgfältig bewerten (Art. 21 Abs. 3 Ziff. 1 EPLL). Gemäß Artikel 100 der Verfassung kann das Recht auf freie Meinungsäußerung unter gesetzlich vorgesehenen Umständen zum Schutz der Rechte Dritter, der demokratischen Staatsordnung und der öffentlichen Sicherheit, Wohlfahrt und Sittlichkeit eingeschränkt werden. Solche Beschränkungen müssen zudem auf Artikel 10 der EMRK gründen.

Im vorliegenden Fall hält der Rat somit den Beschluss, die Sendegenehmigung aufzuheben, für geeignet, um das legitime Ziel der Sicherheit von Staat und Gesellschaft und der Wahrung der demokratischen Staatsordnung zu erreichen. Aus diesem Grund sei eine solche Beschränkung in einem demokratischen Land angemessen, zulässig und notwendig.

Der Rat stellt ferner fest, dass es angesichts der wichtigen Rolle des Fernsehens bei der Information der Öffentlichkeit keine anderen rechtlichen Mechanismen gebe, um den durch das elektronische Medienunternehmen TV Rain verursachten Schaden zu begrenzen, als den Entzug der dem elektronischen Medienunternehmen erteilten Sendelizenz.


Referenzen


Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.