Norwegen

[NO] Keine Sanktionen gegen RT und Sputnik in Norwegen

IRIS 2022-5:1/5

Audun Aagre

Das Recht auf freie Meinungsäußerung genießt in der norwegischen Verfassung ein hohes Maß an Schutz. Auf der Grundlage einer verfassungsrechtlichen Prüfung hat die norwegische Regierung beschlossen, keine Sanktionen gegen russische staatlich kontrollierte Medien zu verhängen.  

In einer Erklärung vor dem norwegischen Parlament vom 18. März betonte Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, dass Medienkompetenz so weit wie möglich das vorrangige Instrument zur Bekämpfung von Desinformation sein sollte. Der Ministerpräsident äußerte zudem Befürchtungen, dass Sanktionen gegen die von Russland kontrollierten Medien Russia Today (RT) und Sputnik von Putins Regime instrumentalisiert werden könnten, um weitere Einschränkungen der Medienfreiheit und nationaler und internationaler redaktioneller Medien in Russland zu legitimieren. Die Hürden für eine Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung sind in der norwegischen Verfassung hoch, und der Ministerpräsident erklärte abschließend, die Regierung werde die rechtlichen und verfassungsrechtlichen Probleme gründlich prüfen, bevor sie eine Entscheidung treffe.

Am 26. April kündigte die Kulturministerin Anette Trettebergstuen an, Norwegen werde die Sanktionen nicht umsetzen: „Die Hürden für eine Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Artikel 100 der Verfassung sind hoch, und wir sehen zum heutigen Zeitpunkt nicht, dass eine generelle Sperrung dieser Akteure mit der Bedrohung grundlegender gesellschaftlicher Funktionen in Norwegen legitimiert werden könnte“, sagte sie.

Die Entscheidung der norwegischen Regierung steht im Einklang mit den Empfehlungen der norwegischen Medienbehörde (NMA). „Die russische Aggression in der Ukraine und die Schrecken des Krieges verlangen eine entschlossene Antwort seitens der EU und der EFTA. Die Art und Weise, wie Putins Regime Informationen instrumentalisiert, stellt eine Gefahr für mehrere Nachbarländer Russlands dar. Das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt jedoch in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten des EWR. Nach unserer Einschätzung sind die norwegische Gesellschaft und Öffentlichkeit in der Lage, den Manipulationsversuchen der russischen Staatsmedien standzuhalten“, erklärte Mari Velsand, Generaldirektorin der norwegischen Medienbehörde (NMA).

Gemäß norwegischer Verfassung müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, damit das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt werden kann. Politische Inhalte, selbst Propaganda aus feindlichen Drittländern, sind durch die norwegische Verfassung besonders stark geschützt. Rechtliche Haftung muss gesetzlich geregelt und mit der Suche nach der Wahrheit, der Förderung der Demokratie oder der Meinungsbildungsfreiheit des Einzelnen gerechtfertigt sein. Eine Vorzensur oder sonstige Präventivmaßnahmen sind unzulässig, soweit sie nicht erforderlich sind, um Kinder und Jugendliche vor schädlichen Inhalten zu schützen. Daher wird eine Vorzensur oder Sperrung von RT und Sputnik als verfassungswidrig angesehen. „Im norwegischen Kontext halten wir Medienkompetenz für das beste Mittel gegen russische Propaganda“, so Mari Velsand. Die norwegische Bevölkerung verfügt über ein relativ hohes Maß an Medienkompetenz, und redaktionelle Medien spielen in Norwegen eine herausragende Rolle. Dadurch sind die Menschen in der Lage, sich Manipulationsversuchen zu widersetzen; die Hürden für eine Einschränkung politischer Inhalte werden noch einmal höher.

Obwohl Norwegen direkt an Russland grenzt, ist der politische Kontext in anderen Nachbarländern, die Teil der Sowjetunion waren oder eine große russische Bevölkerung haben, ein ganz anderer. „Wir stehen an der Seite der Ukraine und anderer bedrohter Länder. Daran ändert auch unsere verfassungsrechtliche Bewertung nichts. In Krisenzeiten ist es jedoch wichtig, relevante Grundsätze der Rechtsprechung beizubehalten. Der Krieg ist also ein Test für die offenen Gesellschaften in Europa. Wir sind der Meinung, dass schlechten Praktiken durch bewährte Praktiken entgegengewirkt werden sollte, soweit dies möglich ist“, sagte Mari Velsand. Da sich das DSA in der Endphase befindet und der EMFA in Arbeit ist, ist es wichtig, die Grundprinzipien der Offenheit und der Rechtsprechung für Inhalte beizubehalten. „Wir befinden uns mitten in einem grausamen Krieg und müssen den Kampf des ukrainischen Volkes für Demokratie geschlossen unterstützen. Bei der Diskussion und Verabschiedung von Regelungen wie dem DSA und dem EMFA müssen wir jedoch über den Konflikt hinausschauen. Krieg ist nicht der richtige Zeitpunkt für Bewertungen, aber wenn die Zeit reif ist, müssen wir die Umsetzung von Sanktionen im Hinblick auf die Meinungsfreiheit und die Rechtsprechung auf der EU-Ebene und der Ebene der Mitgliedstaaten genau prüfen“, so die Generaldirektorin der norwegischen Medienbehörde.


Referenzen




Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.