Estland

[EE] Ein Blick auf Estlands neue Vorschriften für audiovisuelle Mediendienste

IRIS 2022-4:1/5

Mari Anne Valberg

TGS Baltic

Seit einiger Zeit ist Estland führend, wenn es um technologischen Fortschritt und digitale Innovation geht.

Die nicht rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) und des Europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation hat das Land daher stark in Misskredit gebracht.

Mediendienste werden durch das Mediendienstegesetz (MDG) geregelt, das seit dem 16. Januar 2011 (in geänderter Fassung) in Kraft ist. Die Umsetzung der AVMD-Richtlinie war ursprünglich für Mai 2021 geplant. Schließlich wurde am 16. Februar 2022 das von der Regierung der Republik Estland initiierte Gesetz zur Änderung des Mediendienstegesetzes und zur Änderung anderer verbundener Gesetze in die estnische Gesetzgebung aufgenommen. Die neuen Regelungen des MDG zur Umsetzung der AVMD-Richtlinie traten am 9. März 2022 in Kraft.

Im Großen und Ganzen folgen die Änderungen des MDG den verbindlichen Bestimmungen der AVMD-Richtlinie. Auch wenn die AVMD-Richtlinie einen gewissen Spielraum für bestimmte Abweichungen und die Umsetzung freiwilliger Regelungen vorsieht, wurde zumindest vorerst beschlossen, die meisten Kann-Bestimmungen aus verschiedenen Gründen zunächst nicht in nationales Recht umzusetzen. So hat der estnische Gesetzgeber beispielsweise Art. 13 Abs. 2 und 3 der AVMD-Richtlinie über die Verpflichtung, einen Beitrag zur Produktion europäischer Werke zu leisten, nicht umgesetzt, da nach der vorläufigen Bewertung des estnischen Finanzministeriums der Nutzen der Maßnahme die Kosten nicht aufwiegen würde.

Es gibt natürlich auch eine Reihe von Beispielen für die Umsetzung freiwilliger Bestimmungen:

Diensteanbieter können Verhaltenskodizes für die Übertragung audiovisueller kommerzieller Kommunikationen in Kindersendungen und nutzergenerierten Videos, die sich an Kinder richten, festlegen. In Fällen, in denen kein Verhaltenskodex festgelegt wurde oder sich nicht als ausreichend wirksam erwiesen hat, sind die Anforderungen an audiovisuelle kommerzielle Kommunikationen, in denen Lebensmittel und Getränke in Kindersendungen oder nutzergenerierten Videos, die sich an Kinder richten, präsentiert werden, hingegen durch eine Verordnung des für den Politikbereich zuständigen Ministers festzulegen. Eine solche Ministerialverordnung ist derzeit für den 1. April 2023 geplant. Obwohl in Estland keine Betreiber von Video-Sharing-Plattformen bekannt sind, die der estnischen Rechtshoheit unterliegen würden, hat Estland dennoch die Leitlinien der AVMD-Richtlinie zum Jugendschutz und zur Rechtmäßigkeit bei Video-Sharing-Plattformen übernommen. Betreiber von Videoplattformen sind nun verpflichtet, in ihren Nutzungsbedingungen darauf hinzuweisen, dass es verboten ist, unter anderem Inhalte zu übermitteln, die zu Hass, Gewalt, Diskriminierung oder Gesetzesverstößen aufstacheln oder Kinderpornografie darstellen. Wenn solche Inhalte entdeckt werden, müssen sie umgehend entfernt werden. Die Nutzungsbedingungen müssen auch vorschreiben (und der Diensteanbieter muss den Nutzern technische Mittel zur Verfügung stellen, damit sie diese Bedingungen einhalten können), dass zu Beginn von Sendungen, nutzergenerierten Videos und kommerziellen Kommunikationen, die die körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung von Minderjährigen beeinträchtigen können, ein für den Zuschauer verständlicher Warnhinweis erscheinen muss, der besagt, dass die nachfolgende Sendung für Minderjährige nicht geeignet ist; darüber hinaus muss während der gesamten Sendung, des Videos oder der kommerziellen Kommunikation ein entsprechendes Symbol auf dem Bildschirm zu sehen sein, das darauf hinweist, dass die Sendung für Minderjährige oder bestimmte Altersgruppen von Minderjährigen nicht geeignet ist. Falls ein solcher Warnhinweis nicht vorhanden ist, muss der Plattformbetreiber selbst einen solchen Hinweis hinzufügen oder sicherstellen, dass der Inhalt für Minderjährige nicht zugänglich ist.

Zu den weiteren Änderungen des MDG gehören Aktualisierungen des Betriebslizenzsystems, einschließlich der Verpflichtung der Diensteanbieter, eine Betriebslizenz zu beantragen, Berichte über die Programmstruktur vorzulegen und ihre Eigentumsverhältnisse offenzulegen. Aktualisierte Bestimmungen des MDG reduzieren den Umfang an obligatorischen Nachrichtensendungen, das heißt die Verpflichtung der Fernseh- und Hörfunkanbieter zur Ausstrahlung von Nachrichten wird von sechs auf fünf Tage pro Woche und der Anteil der Nachrichtensendungen am Programm von fünf auf zwei Prozent reduziert. 

Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels sind die neuen Bestimmungen des MDG erst seit kurzer Zeit in Kraft, so dass es schwierig ist, Schlussfolgerungen über die Akzeptanz und die Reaktion der Gesellschaft und der betroffenen Diensteanbieter zu ziehen. Wie bereits erwähnt, gibt es in bestimmten Sektoren nur eine begrenzte Anzahl betroffener Marktteilnehmer (oder in einigen Fällen gar keine), die der estnischen Rechtshoheit unterliegen, so dass die tatsächlichen Auswirkungen erst noch gemessen werden müssen.


Referenzen



Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.