Schweiz

[CH] Schweizer stimmen für Verbot von Tabakwerbung gegenüber Kindern und Jugendlichen 

IRIS 2022-4:1/29

Dr. Jörg Ukrow

Institut für Europäisches Medienrecht (EMR), Saarbrücken/Brüssel

Die schweizerische Bevölkerung hat am 13.02.2022 bei einer Stimmbeteiligung von 44,23 % mit einer Mehrheit von 56,61 % in einer Volksinitiative der Vorlage „Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung) zugestimmt.
Die Vorlage sieht unmittelbar eine Änderung der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vor. Im 3. Kapitel „Sozialziele“ der Bundesverfassung soll in Art. 41 Abs. 1 Buchst. g) geregelt werden, dass sich Bund und Kantone „in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative“ nicht mehr nur wie bereits bislang dafür einsetzen, dass „Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu selbstständigen und sozial verantwortlichen Personen gefördert und in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Integration unterstützt werden“, sondern zudem dafür einsetzen, dass „ihre Gesundheit gefördert wird“. Art. 118 der Bundesverfassung, der den „Schutz der Gesundheit“ zum Gegenstand hat, soll dahingehend ergänzt werden, dass Absatz 2 Buchst. b) vorsehen soll, dass der Bund „namentlich jede Art von Werbung für Tabakprodukte, die Kinder und Jugendliche erreicht, (verbietet)“. Art. 197 der Bundesverfassung soll um eine Übergangsbestimmung zu Art. 118 Abs. 2 Bst. b als neue Ziffer 12 ergänzt werden, dass das Schweizer Parlament, die Bundesversammlung, die gesetzlichen Ausführungsbestimmungen innerhalb von drei Jahren seit Annahme von Artikel 118 Absatz 2 Buchst. b verabschiedet.
Die Schweiz schränkte bislang Tabakwerbung viel weniger stark ein als die allermeisten Staaten in Europa. So sind zum Beispiel in allen EU-Mitgliedstaaten Tabakwerbung in der Presse und das Sponsoring von Veranstaltungen mit grenzüberschreitender Wirkung verboten. Die überwiegende Mehrzahl der europäischen Staaten (mit Ausnahme u.a. von Deutschland) kennt ferner ein nationales Verbot von Tabakwerbung im öffentlichen Raum. In der Schweiz darf heute mit gewissen Einschränkungen für Tabakprodukte geworben werden. Verboten sind Tabakwerbung in Radio und Fernsehen sowie Werbung, die sich gezielt an Minderjährige richtet. Eine Mehrheit der Kantone hat weitergehende Verbote erlassen, etwa für Tabakwerbung auf Plakaten und im Kino oder für das Sponsoring von Veranstaltungen. 
2020 wurden für Werbung für Tabakprodukte inklusive E-Zigaretten 9,7 Mio. Franken ausgegeben, dies vorwiegend für Werbung in Zeitschriften und Zeitungen sowie für Plakate; das entspricht 0,2 Prozent der gesamten Werbeausgaben in der Schweiz.
Die nunmehr erfolgreiche Initiative will Tabakwerbung überall dort verbieten, wo Minderjährige sie sehen können, zum Beispiel in der Presse, auf Plakaten, im Internet, im Kino, in Kiosken oder bei Veranstaltungen. Für elektronische Zigaretten würden die gleichen Regeln gelten. Erlaubt ist nach der Initiative weiterhin Werbung, die sich nur an Erwachsene richtet oder sich an Orten befindet, zu denen Minderjährige keinen Zugang haben.
Parlament und Regierung der Schweiz ging die Initiative zu weit. Sie stellten ihr mit einem im Oktober 2021 verabschiedeten neuen Tabakproduktegesetz einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber. Die neuen Bestimmungen hätten zwar Werbung für Tabakprodukte und elektronische Zigaretten auf Plakaten, in Kinos, auf Sportplätzen, in und an öffentlichen Gebäuden sowie in und an öffentlichen Verkehrsmitteln verboten. Auch hätten Tabakkonzerne keine Zigaretten mehr gratis abgeben oder internationale Veranstaltungen in der Schweiz sponsern dürfen. Weiterhin möglich wären allerdings Werbung an Kiosken, in der Presse oder im Internet gewesen, außer wenn sie sich an Kinder und Jugendliche richtet, sowie das Sponsoring von nationalen Veranstaltungen. 
Das Tabakproduktegesetz muss nunmehr den Vorgaben der Initiative angepasst werden. Auch Werbung, die sich zwar hauptsächlich an Erwachsene richtet, aber auch für Kinder und Jugendliche zugänglich ist, ist danach zu verbieten. Es ist nur noch Werbung zulässig, die auf Erwachsene abzielt und Minderjährige nicht erreicht, etwa Werbemails, Prospekte und gezielte Werbung im Internet oder in den sozialen Medien.
Wie mit neuen Formen kommerzieller Kommunikation zu Gunsten von Tabakkonsum bei der Umsetzung des Abstimmungsergebnisses parlamentarisch umgegangen wird, bleibt abzuwarten. Ob z.B. auch Image- und Dachmarkenwerbung erfasst wird, ist ebenso offen wie der Umgang mit Influencerinnen und Influencern auf Social Media Plattformen, die auf Fotos oder in Videos rauchen oder eine Marke in sonstiger Weise ihren Usern präsentieren. 


Referenzen


Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.