Vereinigtes Königreich

[GB] Verleumdungsprozess gegen eine Investigativ-Journalistin landet vor dem Obersten Gericht: ein Lackmustest für die Bedeutung des "öffentlichen Interesses" in Verfahren gegen Journalisten

IRIS 2022-3:1/26

Alexandros K. Antoniou

Universität Essex

Am 14. Januar 2022 begann ein hochkarätiger Verleumdungsprozess vor den Royal Courts of Justice in London unter dem Vorsitz von Richterin Steyn. Der britische Geschäftsmann Arron Banks hatte die Investigativ-Journalistin Carole Cadwalladr wegen Verleumdung verklagt. Arron Banks ist der Hauptsponsor der Brexit-Kampagne. Frau Cadwalladr ist eine mehrfach ausgezeichnete wallisische Journalistin, sie schreibt für den Guardian und den Observer im Vereinigten Königreich. Bekannt geworden ist sie vor allem durch die Aufdeckung des Cambridge Analytica-Skandals.

Bei dem Gerichtsverfahren ging es um Äußerungen, die Frau Cadwalladr auf einer Technologie-Konferenz mit dem Titel "Facebook's role in Brexit - and the threat to democracy" ("Facebooks Rolle im Brexit - und die Bedrohung der Demokratie") im April 2019 gemacht hatte, und einen damit verbundenen Tweet. Während des "Ted-Talks" über das Votum des Vereinigten Königreichs für einen Austritt aus der Europäischen Union im Juni 2016, einem im Netz verbreiteten Vortrag, hatte sie erklärt: "Und ich möchte hier gar nicht erst auf die Lügen eingehen, die Arron Banks über seine geheimen Verbindungen zu der russischen Regierung erzählt hat".

Arron Banks hat stets entschieden geleugnet, dass er illegale Verbindungen zur russischen Regierung pflegt. Aber er hat zugegeben, dass er sich mehrmals mit Mitarbeitern der russischen Botschaft getroffen hat. Seine Leave EU-Kampagne war zwar wegen zahlreicher Verstöße gegen das britische Wahlgesetz mit einer Geldstrafe von 70.000 GBP belegt worden. Kriminelle Aktivitäten konnten ihm bisher jedoch nicht nachgewiesen werden, auch nicht in den Ermittlungen der National Crime Agency, der Behörde zur Ermittlung schwerer Straftaten,.

Am 12. Juli 2019 wurde ein Gerichtsverfahren eingeleitet. In einer Vorabentscheidung über die Bedeutung der Äußerungen von Frau Cadwalladr befand Richter Saini am 12. Dezember 2019, dass ein normaler Zuhörer ihre Worte so verstanden haben könnte: "Arron Banks hat bei mehr als einer Gelegenheit nicht die Wahrheit über seine geheimen Verbindungen zu der russischen Regierung gesagt, was die Annahme ausländischer finanzieller Unterstützung der Wahlkampagne betrifft. Dies ist ein Verstoß gegen das Gesetz über diese Art finanzieller Unterstützung."

Arron Banks blieb in dem Verfahren bei seinem Vorwurf, dass die Schwelle "ernsthafter Schäden" ("serious harm") in Artikel 1 des Defamation Act von 2013 überschritten sei und sein Ruf durch die Äußerungen der Journalistin ernsthaft geschädigt worden sei. Frau Cadwalladr erklärte, dass dies nicht ihre Absicht gewesen sei und dass sie immer sorgfältig darauf geachtet habe, darauf hinzuweisen, dass es keine Beweise für die Vermutung gebe, dass Arron Banks Geld angenommen habe. Zu Beginn des Verfahrens berief sich Frau Cadwalladr auf die Einrede der "Wahrheit" ("truth") nach Artikel 2 des Gesetzes von 2013, aber nachdem Richter Saini seine Entscheidung über die Bedeutung klargemacht hatte, die die Äußerungen der Journalistin hatten, zog Frau Cadwalladr im November 2020 diese Einrede zurück. Jetzt beruft sie sich auf die Einrede der "Veröffentlichung über ein Thema von öffentlichem Interesse" ("Publication on a matter of public interest") nach Artikel 4 des Gesetzes.

Das Argument nach Artikel 4 spiegelt Grundsätze wider, die in der Rechtsprechung festgelegt wurden. Es besteht aus zwei Elementen: Artikel 4 Absatz 1 a schreibt vor, dass die beanstandeten Äußerungen eine Äußerung zu einem Thema von öffentlichem Interesse waren (oder ein Teil davon ). Wenn die betreffende Veröffentlichung diesen Test besteht, muss sie auch die Anforderung von Artikel 4 Absatz 1 b bestehen. Diese enthält sowohl objektive als auch subjektive Bestandteile.

Die subjektive Komponente ist, dass die Beklagte davon überzeugt sein muss, dass die Veröffentlichung im öffentlichen Interesse war, und die objektive Komponente ist die Frage, ob es für die Beklagte vernünftig war, dies zu glauben. Artikel 4 Absatz 2 des Gesetzes von 2013 schreibt vor, dass das Gericht bei der Entscheidung über diese Frage "alle Umstände des Falls berücksichtigen muss."

Die zentrale Frage in diesem Verfahren ist also, ob es für Frau Cadwalladr "vernünftig" war, zu glauben, dass die Veröffentlichung ihrer Äußerungen im öffentlichen Interesse war. Das Gericht prüft auch Inhalt und Gegenstand der Äußerungen und die Art und Weise, wie die Journalistin zu den Ergebnissen ihrer Recherche gekommen ist. Sollte Frau Cadwalladr das Verfahren verlieren, muss sie mit Verfahrenskosten bis zu 1 Million GBP zusätzlich zum Schadenersatz rechnen.

In einem Artikel, der in Open Democracy veröffentlicht wurde, erklärte Frau Cadwalladr: "Wir können nicht feststellen, wieviel Geld in unserem Wahlkampf ausgegeben wurde. Das ist ein massives Problem für unsere Demokratie. Facebook unterliegt keinerlei Regulierung, und unsere Wahlgesetze sind nach wie vor hoffnungslos undurchsetzbar. Es gab (und es gibt immer noch) ein riesiges öffentliches Interesse, dass sich Journalisten mit diesem Thema befassen - sowohl als Warnung für uns hier in Großbritannien, als auch in anderen Ländern".

Interessant ist, dass Arron Banks weder die Guardian Media Group (die seit Jahren die Reportagen von Frau Cadwalladr veröffentlicht) noch TED Conferences verklagt hat, die ihren Talk ausgestrahlt haben (oder andere große Medien, die ähnliche Behauptungen veröffentlichten). Statt dessen entschied er sich dafür, die Journalistin Cadwalladr persönlich zu verklagen. Sieben internationale Organisationen, die für die Pressefreiheit eintreten, haben gefordert, das Verfahren einzustellen und haben den Fall als ein typisches Beispiel für einen so genannten SLAPP-Fall beschrieben (Strategic Litigation Against Public Participation - Strategische Bekämpfung der Beteiligung der Öffenltichkeit). Ein wesentlicher Aspekt solcher Fälle ist die Ungleichheit der Macht zwischen dem Kläger und der Beklagten.

Der Fall hat erneut die Forderungen verstärkt, die Regierung des Vereinigten Königreichs müsse sicherstellen, dass SLAPP-Fälle nicht genutzt werden dürfen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen und zu verhindern, dass über Fälle von öffentlichem Interesse berichtet wird. Derzeit gibt es auf EU-Ebene immer mehr Aktionen gegen den Missbrauch von Gerichtsverfahren gegen einzelne Journalisten und Bemühungen um mehr Konvergenz in den Maßnahmen der Mitgliedstaaten gegen SLAPP-Fälle.

Das Gerichtsverfahren Banks gegen Cadwalladr ging über fünf Tage, und das Urteil steht noch aus. Das Verfahren wurde von mehreren Investigativreportern aufmerksam verfolgt. Reporter ohne Grenzen betonte vor allem, dass "das Urteil ernsthafte Auswirkungen auf den Journalismus haben wird, und zwar nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern international, da die Londoner Gerichte für ihre Rechtsprechung in solchen Fällen bekannt sind. Es macht deutlich, dass Journalisten, denen Verleumdungsverfahren drohen, besser geschützt werden müssen."


Referenzen

  • Banks v Cadwalladr [2019] EWHC 3451 (High Court of Justice, Queen’s Bench Division, Media and Communications List)
  • https://www.bailii.org/ew/cases/EWHC/QB/2019/3451.html
  • Banks v Cadwalladr [2019] EWHC 3451 (High Court of Justice, Queen’s Bench Division, Media and Communications List)





Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.