Frankreich
[FR] Staatsrat: präzise Vorgaben zum Anwendungsbereich der Must-Carry-Regelung für Anbieter audiovisueller Dienste
IRIS 2019-9:1/15
Amélie Blocman
Légipresse
Mit seinem Urteil vom 24. Juli 2019 hat der Conseil d’Etat (Staatsrat – oberstes Verwaltungsgericht) den seit 2014 anhängigen Rechtsstreit zwischen der öffentlich-rechtlichen Fernsehgruppe France Télévisions und der Gesellschaft Playmédia beendet, die auf ihrer Website playtv-fr. Live- und Streaming-Fernsehprogramme anbietet und sich überwiegend durch Werbung finanziert. Auf Grundlage eines Vorabentscheids des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) hat der oberste Verwaltungsrichter nun den Anwendungsbereich der Must-Carry-Regelung für die Anbieter audiovisueller Dienste präzisiert.
Laut Artikel 34-2 des Gesetzes vom 30. September 1986 müssen diese Anbieter im Rahmen der Must-Carry-Regelung ihren Abonnenten die von den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern auf terrestrischem Wege ausgestrahlten Sendungen unentgeltlich zur Verfügung stellen. Die Gesellschaft Playmédia beansprucht für sich den Status eines Diensteanbieters und geht somit davon aus, das Recht zu haben, die von France Télévisions herausgegebenen Programme auszustrahlen. France Télévisions hingegen, die selbst die besagten Programme im Live-Stream auf ihrer Website Pluzz.fr sendet, sieht das anders, wurde jedoch am 27. Mai 2015 vom Conseil supérieur de l’audiovisuel (Rundfunkaufsichtsbehörde – CSA) ermahnt, sich in Zukunft an die Übertragungsverpflichtungen zu halten und sich der Weiterverbreitung ihrer Programme durch Playmédia nicht weiter zu widersetzen. Daraufhin beantragte France Télévisions vor dem Staatsrat die Aufhebung des Entscheids des CSA. Gleichzeitig verklagte sie Playmédia wegen unlauteren Wettbewerbs und Urheberrechtsverletzung.
Angesichts der unklaren Auslegung des Begriffs „Diensteanbieter“ (distributeur de services), der im Gemeinschaftsrecht keine Entsprechung findet, legte der Staatsrat dem EuGH mehrere Fragen zum Vorabentscheid vor. Artikel 31.1 der Richtlinie 2002/22/EG, auch Universaldienstrichtlinie genannt, sieht für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, eine Übertragungspflicht aufzuerlegen, wenn eine erhebliche Zahl von Endnutzern die elektronischen Kommunikationsnetze als Hauptmittel zum Empfang von Fernsehsendungen nutzen. Das französische Recht dagegen sieht die Must-carry-Regelung für Diensteanbieter vor, unabhängig davon, ob es sich um Betreiber elektronischer Kommunikationsnetze handelt oder nicht. Gleichzeitig fehlen im französischen Recht die in der Universaldienstrichtlinie verankerten Voraussetzungen, insbesondere mit Blick auf die erhebliche Zahl von Endnutzern. Nachdem sich der EuGH am 13. Dezember 2018 zu den Fragen geäußert hatte (Urteil Nr. C-298/17), hat nun der Staatsrat in der Sache entschieden.
In seinem Urteil vom 24. Juli 2019 heißt es, gemäß EuGH falle die Tätigkeit der Gesellschaft Playmédia nicht in den Anwendungsbereich der in Artikel 31 der Richtlinie vorgesehenen Must-Carry-Regelung. Allerdings habe das Gericht gleichzeitig festgehalten, dass die Bestimmungen der Universaldienstrichtlinie einem Mitgliedstaat die Möglichkeit einräumten, in einer Situation wie derjenigen, um die es im vorliegenden Fall gehe, einem Unternehmen, das zwar keine elektronischen Kommunikationsnetze bereitstelle, über das aber Fernsehprogramme im Live-Stream angeschaut werden könnten, eine Verpflichtung zur Ausstrahlung aufzuerlegen.
Laut Staatsrat ist Playmédia aufgrund seiner Tätigkeit zwar als Diensteanbieter im Sinne von Artikel 2-1 des Gesetzes vom 30. September 1986 zu werten. Gemäß Artikel 34-2 des Gesetzes, in dem eine Übertragungspflicht vorgesehen sei, gelte diese Must-Carry-Regelung jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sich das Diensteangebot an „Abonnenten“ richte. Unter Bezugnahme auf die Vorarbeiten zum Gesetz urteilt der höchste Verwaltungsrichter, dass unter dem Begriff „Abonnenten“ Nutzer zu verstehen seien, die durch einen Handelsvertrag, in dem die Zahlung eines Preises vereinbart sei, an den Diensteanbieter gebunden seien.
Im vorliegenden Fall habe der CSA bei seiner Prüfung, ob die in Artikel 34-2 des Gesetzes vom 30. September 1986 verankerte Voraussetzung mit Blick auf das Diensteangebot für die Abonnenten erfüllt sei, festgestellt, dass sich das Angebot zum Teil an Personen richte, die eine vertragliche Verpflichtung eingegangen seien, um auf dieses Angebot zugreifen zu können. Der Vertrag sei durch die Annahme der allgemeinen Nutzungsbedingungen und die Bereitstellung mehrerer personenbezogener Daten, z. B. ihrer E-Mail-Adresse, ihres Geburtsdatums oder ihres Geschlechts zustande gekommen. Da aber der Zugang zum Dienst nicht mit der Zahlung eines Preises einhergegangen sei, habe der CSA die geltenden Bestimmungen falsch ausgelegt, so der Staatsrat, der damit die Mahnung des CSA an die Gruppe France Télévisions aufhob, sich der Weiterverbreitung ihrer Programme durch Playmédia nicht weiter zu widersetzen.
Referenzen
- Conseil d'État, 24 juillet 2019, N° 391519
- Staatsrat, 24. Juli 2019, Nr. 391519
- Arrêt n°640 du 4 juillet 2019 (16-13.092) - Cour de cassation
- Beschluss Nr. 640 vom 4. Juli 2019 (16-13.092) - Oberstes Revisionsgericht
Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.