Spanien
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften: Rechtssache Promusicae gegen Telefónica
IRIS 2008-3:1/4
Stefan Kulk
Institut für Informationsrecht (IViR), Universität Amsterdam
Am 29. Januar 2008 verkündete die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs ihr Urteil in der Rechtssache C-275/06, Productores de Música de España (Promusicae) gegen Telefónica de España SAU (Telefónica). Promusicae ist eine Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, der Produzenten und Herausgeber von Musikaufnahmen und audiovisuellen Aufnahmen angehören. Sie beantragte beim Juzgado de lo Mercantil nº 5 de Madrid (Handelsgericht Nr. 5 von Madrid), Telefónica zur Offenlegung von Name und Anschrift bestimmter Personen aufzufordern, denen Telefónica einen Internetzugang gewährt. Nach Ansicht von Promusicae verwenden diese Personen das Programm KaZaA zum Austausch von Dateien und lassen den Zugriff auf Musikdateien zu, die sich im gemeinsam genutzten Ordner ( Shared Folder ) ihres Computers befinden und für die die Urheber- und Lizenzrechte bei den Mitgliedern von Promusicae liegen.
Das nationale Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vor. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von drei Richtlinien – Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft („Urheberrechtsrichtlinie“) und Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums – sowie der Art. 17 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Mit seiner Frage wollte das vorlegende Gericht wissen, ob das Gemeinschaftsrecht und insbesondere diese Richtlinien dahin auszulegen sind, dass sie den Mitgliedstaaten gebieten, im Hinblick auf einen effektiven Schutz des Urheberrechts die Pflicht zur Mitteilung personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen.
Neben den bereits erwähnten Richtlinien hält der Gerichtshof auch die Richtlinie 2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) für nützlich, um in dem Verfahren zu entscheiden. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Richtlinie nicht die Möglichkeit der Mitgliedstaaten ausschließt, eine Pflicht zur Weitergabe personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen. Zu den vom vorlegenden Gericht genannten Richtlinien stellt der Gerichtshof fest, dass diese darauf abzielen, dass die Mitgliedstaaten namentlich in der Informationsgesellschaft den effektiven Schutz des geistigen Eigentums und insbesondere des Urheberrechts sicherstellen. Aus Art. 1 Abs. 5 lit. b der Richtlinie 2000/31/EG, Art. 9 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 Abs. 3 lit. e der Richtlinie 2004/48/EG gehe jedoch hervor, dass durch einen solchen Schutz nicht der Schutz personenbezogener Daten beeinträchtigt werden darf.
Das vorlegende Gericht erwähnte ferner das Eigentumsrecht, das auch Rechte des geistigen Eigentums wie das Urheberrecht einschließt, und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in Art. 17 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verankert sind. Als weiteres Grundrecht nennt der Gerichtshof den Schutz personenbezogener Daten und somit des Privatlebens gemäß Art. 7 der Charta und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Gemäß dem zweiten Erwägungsgrund in der Präambel der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation ist ein Ziel dieser Richtlinie die Achtung dieses Grundrechts.
Der Gerichtshof gelangt zu dem Schluss, dass keine der erwähnten Richtlinien von den Mitgliedstaaten verlangt, in einer Situation wie der vorliegenden im Hinblick auf einen effektiven Schutz des Urheberrechts die Pflicht zur Mitteilung personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen. Die Mitgliedstaaten sind gemäß dem Gemeinschaftsrecht jedoch dazu verpflichtet, sich bei der Umsetzung dieser Richtlinien auf eine Auslegung zu stützen, die es ihnen erlaubt, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten sicherzustellen. Bei der Durchführung der Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinien haben die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht im Einklang mit diesen Richtlinien auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung dieser Richtlinien stützen, die mit diesen Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, wie etwa dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, kollidiert.
Referenzen
- Judgment of the Court (Grand Chamber) of 29 January 2008, Case C-275/06, Productores de Música de España (Promusicae) v. Telefónica de España SAU (Telefónica)
- http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/gettext.pl?where=&lang=en&num=79919870C19060275&doc=T&ouvert=T&seance=ARRET
- Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 29. Januar 2008, Rechtssache C-275/06, Productores de Música de España (Promusicae) gegen Telefónica de España SAU (Telefónica)
- http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/gettext.pl?where=&lang=de&num=79919870C19060275&doc=T&ouvert=T&seance=ARRET
Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.