Norwegen

[NO] Änderungsvorschläge zu Artikel 100 der norwegischen Verfassung (Meinungsfreiheit)

IRIS 2004-9:1/32

Thomas Rieber-Mohn

Universität Oslo

Artikel 100 der norwegischen Verfassung von 1814 enthält das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

1999 stellte die Kommission zur Meinungsfreiheit ihren Abschlussbericht vor. Der Bericht beinhaltet eine ausführliche Erörterung der Redefreiheit und einen Vorschlag zu einigen Änderungen des Artikels 100. Aufgrund dieses Berichts veröffentlichte die norwegische Regierung früher in diesem Jahr ein Grünbuch (Stortingsmelding), in dem sie ihre eigenen Änderungsvorschläge zu Artikel 100 vorstellt. In manchen Fragen stimmt der Regierungsvorschlag mit dem der Kommission überein, bei anderen gibt es Unterschiede. Das Grünbuch enthält darüber hinaus Änderungsvorschläge zur Gesetzgebung über die Redefreiheit auf der Nichtverfassungsebene.

Der Vorschlag der Regierung wurde von einer Reihe von Kommentatoren kritisiert. Die Kritik richtete sich teils gegen den Änderungsprozess selbst, der angeblich die öffentliche Diskussion über diese wichtige Frage untergrabe, und teils gegen den Inhalt des Vorschlags. Dessen ungeachtet gibt es offensichtlich eine ausreichende Mehrheit im Parlament für den Regierungsvorschlag. Das Parlament muss diese Frage bis zum 30. September dieses Jahres behandeln. Der Inhalt des Regierungsvorschlags wird im Folgenden zusammengefasst.

Die Regierung schlägt vor, das bestehende gesetzliche Verbot für politische Werbespots im Fernsehen aufzuheben. Solche Werbespots unterliegen jedoch weiterhin gesetzlichen Beschränkungen.

Andererseits schlägt die Regierung nicht vor, kommerzielle Meinungsäußerungen unter den verfassungsmäßigen Schutz der Meinungsfreiheit zu stellen. Dies wurde kritisiert, sowohl weil der Schutz der Meinungsfreiheit nach der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte weiter geht, als auch weil eine derartige Einschränkung von Artikel 100 zu beträchtlichen praktischen Herausforderungen führen wird (nämlich eine Trennlinie zwischen kommerzieller und nichtkommerzieller Meinungsäußerung zu ziehen).

Das Grünbuch unterstützt eine Stärkung des Schutzes der Meinungsfreiheit von Arbeitnehmern, einschließlich Regeln, die „ whistle blowing " (“Verpfeifen") etc. schützen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es jedoch keine konkreten Vorschläge in dieser Hinsicht.

Die Regierung schlägt zudem einen stärkeren verfassungsrechtlichen Schutz gegen Haftbarmachung für verleumderische Äußerungen vor. Dies geht nicht explizit aus dem vorgeschlagenen Wortlaut von Artikel 100 hervor. In dem Grünbuch wird jedoch eine Überprüfung des Gesetzes über strafbare Verleumdung angekündigt. In Bezug auf rassistische Äußerungen unterstützt die Regierung hingegen eine Beschränkung der Meinungsfreiheit. In dem Grünbuch wird die Auffassung vertreten, der vorgeschlagene neue Artikel 100 sollte Spielraum für eine Stärkung des strafrechtlichen Schutzes gegen rassistische und Hassreden bieten.

Das Grünbuch besagt, die Regierung sei gewillt, Vorzensur von Filmen für Erwachsene (jedoch nicht von Filmen für Kinder) abzuschaffen. Der vorgeschlagene Wortlaut von Artikel 100 verbietet jedoch keine Vorzensur mit Ausnahme für schriftliche Äußerungen. Abgesehen von schriftlichen Äußerungen ist Vorzensur als verfassungskonform zu betrachten, vorausgesetzt, dass „gewichtige Gründe eine solche Zensur in Abwägung mit den Grundprinzipien der Meinungsfreiheit erforderlich machen".

Die Regierung schlägt weiterhin vor, in Artikel 100 die verfassungsmäßige Verpflichtung der Behörden mit aufzunehmen, die Möglichkeiten von Einzelpersonen und Gruppen zur Äußerung der eigenen Meinung zu fördern.

Das Grünbuch stellt darüber hinaus fest, dass der vorgeschlagene Artikel 100 die Möglichkeit für eine gesetzliche Verankerung des Grundsatzes der redaktionellen Unabhängigkeit eröffnen wird. Die Regierung schlägt auch vor, dass das verwaltungsrechtliche Prinzip des öffentlichen Zugangs zu Regierungshandlungen und -informationen in die Verfassung aufgenommen werden sollte.


Referenzen

  • Grünbuch zu Änderungen des Artikels 100 der norwegischen Verfassung

Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.