Österreich
[AT] Neuer gesetzlicher Vorstoß für einen unabhängigen Rundfunkveranstalter
IRIS 2025-6:1/2
Maren Beaufort
Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung (CMC) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Klagenfurt
Am 27. März 2025 beschloss der Nationalrat mit den Stimmen der Parlamentsparteien ÖVP, SPÖ und NEOS eine Änderung des ORF-Gesetzes, die am 10. April 2025 vom Bundesrat genehmigt wurde. Die Gesetzesänderung ist am 1. April 2025 in Kraft getreten.
Die Novelle wurde als Reaktion auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2023 angenommen, in dem einige Bestimmungen über die Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrats und des Publikumsrats als verfassungswidrig eingestuft wurden. Die wichtigsten Änderungen sind:
- Reduzierung der von der Regierung bestellten Mandate: Die Zahl der von der Bundesregierung bestellten Mitglieder des Stiftungsrates wird von neun auf sechs reduziert.
- Stärkung des Publikumsrates: Der Publikumsrat wird künftig neun Mitglieder (bisher sechs) in den Stiftungsrat entsenden.
- Qualifikationsanforderungen: Bei der Bestellungder von der Regierung nominierten Mitglieder in den Stiftungsrat muss nun die fachliche Qualifikation berücksichtigt und eine ausgewogene Vertretung in Bezug auf Geschlecht und disziplinären Hintergrund sichergestellt werden.
- Wahrung der institutionellen Unabhängigkeit: Die vorzeitige Ersetzung von Ratsmitgliedern durch eineneue Regierung ist nicht mehr zulässig.
Der neu zusammengesetzte ORF-Publikumsrat trat am 5. Juni zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen und entsandte neun seiner Mitglieder in den Stiftungsrat. Der neu zusammengesetzteORF-Stiftungsrat wird am 17. Juni zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten.
DerORF-Stiftungsrat, das wichtigste Organ des ORF, setzt sich wie folgt zusammen: Sechs Mitglieder werden von der Bundesregierung, sechs von den im Nationalrat vertretenen Fraktionen, neun von den Landesregierungen, neun vom ORF-Publikumsrat und fünf vom ORF-Betriebsrat entsandt. Der ORF-Stiftungsrat ernennt mit einfacher Mehrheit die Führungskräfte des ORF, darunter den Generaldirektor, die Programmdirektoren und die Regionaldirektoren. Die nächste Bestellungsrunde ist für Mitte 2026 geplant. Weiters beschließt der Stiftungsrat die jährlichen ORF-Budgets und Sendepläne und trifft Entscheidungen von grundsätzlicher unternehmerischer Bedeutung. Die Höhe des ORF-Haushaltsbeitrages wird - mangels gesetzlicher Festlegung - durch Beschluss des Stiftungsrates festgelegt.
Derzeit ist die Höhe jedoch gesetzlich festgelegt: Die Haushaltsabgabe ist mit 15,30 Euro pro Monat fixiert und wird bis Ende 2029 eingefroren bleiben. Darüber hinaus wurde eine gesetzliche Obergrenze für die Einnahmen eingeführt, die besagt, dass die durchschnittlichen jährlichen Einnahmen aus der Abgabe in diesem Zeitraum 710 Millionen Euro nicht überschreiten dürfen. Diese Bestimmungen sollen die finanzielle Planungssicherheit gewährleisten, stellen aber auch eine budgetäre Belastung für den ORF dar.
Der ORF-Publikumsrat besteht aus 28 Mitgliedern. Vierzehn Mitglieder werden direkt von institutionellen Akteuren nominiert, darunter die Kirchen, die Kammern, der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Die übrigen 14 Mitglieder werden von der Bundesregierung auf der Grundlage von Vorschlagslisten (Listen mit jeweils drei Kandidaten) ernannt, die von Organisationen der Zivilgesellschaft eingereicht wurden, die verschiedene gesellschaftliche Bereiche vertreten, darunter Universitäten, der Bildungssektor, Kunst und Kultur, Sport, Jugend, Schüler, Senioren, Menschen mit Behinderungen (die von einer Person mit Behinderung vertreten werden müssen), Eltern und Familien,Volksgruppen, Tourismus, Autofahrer, Verbraucherschutzorganisationen und Umweltorganisationen. Der Publikumsrat hat den Auftrag, die Interessen des Publikums gegenüber dem ORF, seiner Geschäftsführung und seinen Mitarbeitern zu vertreten.
Seine wesentliche gesetzliche Zuständigkeit liegt in der Entsendung von neun Mitgliedern in den ORF-Stiftungsrat.
Das ORF-Gesetz verbietet Personen, die aktive oder ehemalige Politiker, Parteifunktionäre oder Mitarbeiter von Ministerialkabinetten oder Fraktionen sind, für die Dauer von vier Jahren nach Beendigung ihrer politischen Funktion die Mitgliedschaft in den beiden Räten. Ausgeschlossen sind auch Gesellschafter und Angestellte von Medienunternehmen, einschließlich der ORF-Mitarbeiter - mit Ausnahme der fünf Sitze, die Vertretern des ORF-Personalrats vorbehalten sind. Die Mitglieder des Stiftungsrates üben ihre Tätigkeit unabhängig von den sie entsendenden Organen aus und sind gesetzlich dem wirtschaftlichen Wohl des ORF verpflichtet. Alle Mitglieder des ORF-Publikums- und des Stiftungsrates haben Wählbarkeitserklärungen abzugeben, die ausdrücklich auf die politischen Unvereinbarkeitsbestimmungen der §§ 20 und 28 ORF-Gesetz hinweisen. Im Vorfeld der Bestellung der Organe kam es jedoch zu mehreren Rücktritten: Zwei bereits von der Bundesregierung in den Publikumsrat berufene Mitglieder traten nach Bekanntwerden ihrer politischen Zugehörigkeit zurück. Zwei weitere politische Funktionen wurden erst nach der konstituierenden Sitzung des ORF-Publikumsrates am 5. Juni bekannt und haben seither ebenfalls zu Rücktritten geführt.
Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Unvereinbarkeitsbestimmungen sind nach wie vor nicht geklärt. Das ORF-Gesetz regelt solche Fälle nicht explizit, und es gibt keine gefestigte Rechtsprechung.
Obwohl die derzeitige Reform als notwendiger Schritt zur Stärkung der Unabhängigkeit des ORF angesehen wird, fordern mehrere politische Parteien - allen voran die NEOS - einen umfassenderen Reformprozess. Ein solcher Prozess, so argumentieren sie, sollte unter Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden und zusätzliche Bereiche wie die digitale Transformation und institutionelle Transparenz behandeln.
Die FPÖ kritisiert hingegen, dass die Reform nicht weit genug geht und wiederholt ihre Forderung nach Abschaffung der Haushaltsabgabe zugunsten einer direkten Finanzierung des ORF über das Bundeshaushalt.
Insgesamt stellt die Gesetzesnovelle einen bedeutenden Schritt in der österreichischen Medienpolitik dar, der darauf abzielt, die Einhaltung von § 4 des ORF-Gesetzes zu verstärken, der vorschreibt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter unabhängig und ohne politische oder wirtschaftliche Einflussnahme arbeiten muss. Die langfristigen Auswirkungen auf die Autonomie und die Finanzierung des ORF bleiben einer ständigen Evaluierung unterworfen.
Referenzen
- Beschluss des Nationalrates: Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über den Österreichischen Rundfunk geändert wird
- https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVIII/BNR/21/fname_1675113.pdf
- VfGH: Teile der Bestellung und Zusammensetzung von ORF- Stiftungs- und Publikumsrat sind verfassungswidrig
- https://www.vfgh.gv.at/medien/ORF_Gesetz_Gremien.php
Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.