Deutschland

[DE] Europäische Kommission kritisiert geplante Reform des Jugendmedienschutzrechts in Deutschland

IRIS 2024-8:1/19

Christina Etteldorf

Institut für Europäisches Medienrecht

Auf Basis der Notifizierungspflichten aus der Richtlinie (EU) 2015/1535 haben die deutschen Länder als zuständige Gesetzgeber im April 2024 ihren Entwurf für die Reform des Jugendmedienschutzrechts in Deutschland eingereicht. In ihrer Stellungnahme vom 1. Juli 2024 sieht die Europäische Kommission diesen aber kritisch: Zwar teilt sie die Zielsetzung, Kindern und Jugendlichen einen sicheren Zugang zu Online-Inhalten zu ermöglichen und sie vor entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten zu schützen. Allerdings werde dies in Bezug auf Online-Plattformen jedenfalls über die neuen Regeln der Verordnung (EU) 2022/2065 (Digital Services Act, DSA) sichergestellt, die keiner Umsetzung in nationales Recht bedürften.
Die vorgesehene Reform des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendmedienschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, JMStV) auf Ebene der Länder zielt darauf ab, einerseits Kindern und Jugendlichen größtmöglichen Zugang zu Online-Inhalten zu ermöglichen, sie aber anderseits auch vor für sie schädlichen Inhalten zu schützen. Neben einer Anpassung der Vorschriften für alle Telemedien (ein Begriff, der im Wesentlichen alle Online-Medien erfasst, die nicht Rundfunk oder Telekommunikation sind), sollen zu diesem Zweck insbesondere Anforderungen an Anbieter von Betriebssystemen gerichtet werden, die von Kindern und Jugendlichen üblicherweise genutzt werden. Diese sollen Jugendschutzvorrichtungen vorhalten, innerhalb derer Alterseingaben getroffen werden müssen und die auf dieser Basis dann den Zugang zu Apps und Suchmaschinen beschränken können. Systemeigene Vertriebsplattformen für Apps sollen in das im deutschen Recht vorgesehene Altersfreigabesystem eingebunden werden.
In ihrer Stellungnahme betrachtet die Europäische Kommission nicht nur die geplanten Neuerungen kritisch, sondern die Regelungen des JMStV insgesamt, die in Deutschland aktuell geltendes Recht sind – die zuständigen Landesgesetzgeber hatten den JMStV in seiner Gesamtheit notifiziert und nicht die geplanten Änderungen separat. Vor dem Hintergrund der e-Commerce-Richtlinie und der AVMD-Richtlinie weist sie insbesondere auf das geltende Herkunftslandprinzip hin. Die deutschen Regeln sehen unter anderem vor, dass Telemedien (worunter auch Dienste der Informationsgesellschaft inklusive Video-Sharing-Plattformen fallen können) Sicherungsmaßnahmen (bspw. Altersverifikationsmechanismen) ergreifen müssen, um Kinder und Jugendliche vor entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten zu schützen. Die Kommission sieht darin eine generelle und abstrakte Verpflichtung, die Anbieter unabhängig von ihrem Niederlassungsort treffe. Solche entsprächen aber nicht den Grenzen von Art. 3 Abs. 4 der e-Commerce-Richtlinie, wie sie in der neueren Rechtsprechung des EuGH konkretisiert wurden. Dem von deutscher Seite im Notifizierungsverfahren vorgebrachten Argument, dass es sich um Maßnahmen zur Sicherung von sprachlicher und kultureller Vielfalt handele, also einem Fall des Art. 1 Abs. 6 der e-Commerce-Richtlinie, begegnet die Kommission ebenfalls kritisch: Selbst wenn eine entsprechende Zielsetzung den Regelungen inhärent wäre, so würde sich dies nicht außerhalb des Anwendungsbereichs des Herkunftslandprinzips bewegen, da Art. 1 Abs. 6 der e-Commerce-Richtlinie nur dazu diene, die Bedeutung dieser Zielsetzung zu unterstreichen.
Vor dem Hintergrund des DSA betont die Europäische Kommission außerdem dessen vollharmonisierende Wirkung in Bezug auf die Regulierung von Online-Vermittlungsdiensten. Regelungen wie Art. 28 und 35 lit. i) DSA hätten dabei auch insbesondere den Schutz von Minderjährigen im Blick, die für nationale Regeln, in denen es etwa um technische Schutzmechanismen und nicht um Bestimmungen der Illegalität geht, Sperrwirkung entfalten. Zudem wird der JMStV vor dem Hintergrund des Verbots allgemeiner Überwachungspflichten nach Art. 8 DSA kritisch betrachtet, da er zum Beispiel dazu führen würde, dass Vermittlungsdienste wegen ihrer Alterskennzeichnungspflichten Inhalte auf ihren Plattformen überwachen müssten. Im Hinblick auf die geplanten Vorschriften für Betriebssysteme weist die Europäische Kommission schließlich auf die Grenzen der Grundfreiheiten hin, die eine verhältnismäßige Regulierung forderten. 


Referenzen


Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.