Spanien
[ES] Zukunft von Telegram in Spanien nach Klage marktbeherrschender spanischer audiovisueller Konzerne ungewiss
IRIS 2024-4:1/8
Azahara Cañedo & Marta Rodriguez Castro
In einem Beschluss vom 22. März 2024 ordnete der Richter des spanischen Nationalgerichts, Santiago Pedraz, die Sperrung von Telegram in Spanien an. Diesem Beschluss ging eine Klage voraus, die einige Monate zuvor von verschiedenen marktbeherrschenden spanischen audiovisuellen Konzernen wie Atresmedia, Mediaset und Movistar Plus eingereicht worden war. Letztere behaupten, der Instant-Messaging-Dienst hoste raubkopierte audiovisuelle Inhalte und ermögliche deren Verbreitung über die Plattform.
Der Beschluss erging, nachdem Telegram auf mehrere Auskunftsersuchen des Richters nicht reagiert hatte. In dem Beschluss argumentierte der Richter, dass es sich um eine notwendige, angemessene und verhältnismäßige Maßnahme handele, zu der es keine Alternative gebe. Richter Pedraz erklärte, dass das spanische Nationalgericht im vergangenen Juli die Behörden der Jungferninseln - wo Telegram seinen Sitz hat - um Hilfe bei der Beschaffung technischer Daten gebeten habe, um die Nutzer zu identifizieren, die die Verstöße begangen hatten. Es kam jedoch keine Zusammenarbeit zustande und diese Informationen wurden nie übermittelt, sodass die Ermittlungen nicht fortgesetzt werden konnten, während das Raubkopieren andauerte.
In diesem Zusammenhang wies Richter Pedraz die spanischen Telekommunikationsanbieter an, Telegram im Rahmen eines Verfahrens wegen fortgesetzter Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums im Land zu sperren. Pedraz erläuterte, die Maßnahme sei im spanischen Strafprozessrecht verankert, welches vorsehe, dass das Gericht bei der Untersuchung von Straftaten, die mit Hilfe von Kommunikationstechnologien begangen werden, in einem ersten Schritt beschließen könne, die Dienste, die die Inhalte anbieten, vorläufig zu sperren. In der Anordnung wurde jedoch nicht auf den möglichen Schaden hingewiesen, den dieser Beschluss den Nutzern der Plattform zufügen könnte, deren Zahl auf 8,5 Millionen geschätzt wird, was etwa 18 % der spanischen Bevölkerung entspricht.
Ohne dass den Telekommunikationsunternehmen eine gesetzliche Verpflichtung auferlegt worden wäre, ließen die gesellschaftlichen Reaktionen im Land nicht lange auf sich warten. Die Maßnahme wurde weithin als unverhältnismäßig kritisiert, da sie nicht zwischen denjenigen unterscheidet, die die Plattform rechtmäßig nutzen, und denjenigen, die illegales Herunterladen fördern. FACUA, einer der wichtigsten Verbraucherverbände in Spanien, wies auf den potenziellen Schaden hin, den der Gerichtsbeschluss den Nutzern sowie den Unternehmen, Organisationen und Einrichtungen zufüge, die legal Inhalte über Telegram verbreiten. Der Präsident des Generalrats der Fachverbände für technische Informatik in Spanien (Consejo General de Colegios Profesionales de Ingeniería Informática de España) warnte ebenfalls vor dem beispiellosen Vorgehen. Selbst einige politische Vertreter äußerten sich zu diesem Thema. So kündigte der Anwalt der Partei „Piraten von Katalonien“ (Pirates de Cataluña) an, gegen die Sperre vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu klagen.
In der Folge des öffentlichen Aufschreis beschloss Richter Pedraz am 25. März 2024, die Sperrung nicht weiter zu betreiben. Nach seinen eigenen Worten sei nach der Veröffentlichung des Sperrbeschlusses ein wesentlicher Umstand ins Licht gerückt, den ein Richter nicht ignorieren könne, nämlich die möglichen Auswirkungen auf verschiedene Nutzer. Daraufhin bat er den Nachrichtendienst der Nationalpolizei (Comisaría General de Información de la Policía Nacional) um einen Bericht über das Wesen von Telegram und die möglichen Auswirkungen der verhängten Sperre, um zu beurteilen, ob die Maßnahme verhältnismäßig war.
Nach Vorlage des Berichts kam der Richter zu dem Schluss, dass eine Sperrung von Telegram den Nutzern der Plattform eindeutig schaden würde, da die überwiegende Mehrheit von ihnen keine Verbindung zu illegalen Aktivitäten habe. Darüber hinaus räumte er ein, dass die Sperre einige von ihnen an der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit hindern würde. In diesem Sinne stellt Richter Pedraz fest, dass der Polizeibericht die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die spanischen Unternehmen hervorhebe. Darüber hinaus sei die Maßnahme nicht ideal, da die Nutzer Proxy-Server und VPN verwenden könnten, die es ihnen ermöglichten, den tatsächlichen Standort ihrer Geräte zu verbergen und vorzutäuschen, dass die Anfrage für den Zugang zum Dienst von außerhalb Spaniens komme. Auf diese Weise könnten sie „auf Telegram zugreifen und weiterhin solche Inhalte konsumieren oder veröffentlichen“.
Alles in allem ist die Zukunft von Telegram in Spanien in der Schwebe, solange die Ermittlungen noch andauern. Dies ist nicht der erste Fall, in dem Telegram als eine Plattform ausgemacht wurde, über die neue Wege für Urheberrechtsverletzungen eröffnet werden können. So gab es beispielsweise Beschwerden in Italien, 2018 wurde die Anwendung aufgrund eines Falls von Kinderpornografie aus dem App Store entfernt (IRIS 2020-6:1/15), und in Brasilien wurde der Dienst gesperrt, weil er bei einer Untersuchung gegen Neonazi-Gruppen nicht kooperierte.
Referenzen
- El juez Pedraz ordena bloquear Telegram de forma cautelar a raíz de una denuncia de Mediaset, Atresmedia y Movistar Plus
- https://elpais.com/tecnologia/2024-03-22/el-juez-pedraz-ordena-bloquear-telegram-de-forma-cautelar-a-raiz-de-una-denuncia-de-mediaset-atresmedia-y-movistar-plus.html
- Richter Pedraz ordnet nach Klage von Mediaset, Atresmedia und Movistar Plus vorsorgliche Sperrung von Telegram an
- FACUA considera desproporcionado el bloqueo cautelar de Telegram por alojar sin permiso contenidos protegidos por derechos de autor
- https://facua.org/noticias/audiencia-nacional-ordena-bloqueo-telegram/
- FACUA hält vorsorgliche Sperrung von Telegram für nicht genehmigtes Hosten urheberrechtlich geschützter Inhalte für unverhältnismäßig
Verknüpfte Artikel
IRIS 2020-6:1/15 [IT] Telegram-Kanäle nach Dringlichkeitsantrag des FIEG bei AGCOM entfernt
Dieser Artikel wurde in IRIS Rechtliche Rundschau der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle veröffentlicht.